Teil I: „Trau mir etwas zu!“
Gerade im Grundschulalter entwickelt sich der Weg zur Selbständigkeit rasant. Der Reifungsschritt um das sechste Lebensjahr, lässt das Kind komplexer denken. Es bekommt ein Gewissen, weiß was man sagen darf und was man lieber nur denken und für sich behalten sollte. Das Kind kann langsam mit sich selbst reden und muss nicht mehr alles aussprechen. Es lernt logisch und vorausschauend zu denken und Informationen mit Erfahrungen zu verknüpfen.
Dieser Reifungsprozess erweckt beim Kind den Wunsch nach mehr Selbständigkeit und setzt einen enormen Schub an Selbstvertrauen frei.
Das Kind fordert seine Eltern heraus und braucht zu seiner Selbständigkeit Eltern, die ihm etwas zutrauen und dieses Vertrauen nicht mit Kontrolle ersetzen.
Eine mögliche Selbständigkeit ist der Schulweg des Kindes. Ich kann zu Schulbeginn viele Eltern beobachten, die selbstverständlich ihr Kind auf dem Weg zur Schule begleiten. Den Schulweg zu gehen, muss geübt werden, bis das Kind Sicherheit erfahren hat. Dieser Schulweg wird von den meisten Kindern und Eltern bis zu den Herbstferien geübt. Ab diesem Moment darf ich meinem Kind zutrauen, seinen Weg selbständig zu gehen. Aber ich sehe auch die ängstlichen Eltern, die ihr Kind noch bis zu den Weihnachts- oder gar Osterferien begleiten. Eltern müssen behutsam loslassen lernen. Loslassen bedeutet für das Kind „Du bist schon groß und ich traue dir etwas zu!“
Dem Vertrauen folgt der enorme Stolz des Kindes. Wie toll und großartig fühlt es sich für das Kind an, wenn es diesen Weg schon ohne Eltern gehen kann. Eltern, die ihr Kind lange begleiten, berauben ihr Kind um dieses wichtige Gefühl.
Unterstützen Sie Ihr Kind in die Selbständigkeit, helfen Sie ihm durch ermutigende Worte wie z.B.: „Das schaffst du!“ – „Probiere es doch noch einmal!“
Das Kind hat auch die Aufgabe, Verantwortung für seinen Ranzen zu übernehmen. Selbstverständlich ist es wichtig, am Anfang seinem Kind zu helfen. Rituale helfen hier, Dinge dauerhaft zu lernen. Immer abends oder nach den Hausaufgaben wird der Ranzen für den nächsten Tag gepackt. Das Kind muss nachsehen, in welchen Fächern es am nächsten Tag Unterricht hat, und dementsprechend seine Unterlagen richten. Natürlich helfen Sie Ihrem Kind am Anfang und Sie werden spüren, wann Ihr Kind diese Aufgabe selbständig leisten kann. Ihr Kind sollte den Ranzen dann allein packen, Sie überprüfen anfangs noch und ziehen sich dann langsam aus der Verantwortung zurück.
Kinder lernen durch eigene Erfahrungen und Konsequenzen.
Vergisst Ihr Kind zum Beispiel sein Pausenbrot oder seine Trinkflasche, sein Deutschheft, seinen Turnbeutel etc., dann muss Ihr Kind die Konsequenzen seines Vergessens tragen. Fahren Sie nicht in die Schule und bringen Sie Ihrem Kind die Dinge nach. Das Handeln des Kindes muss Folgen haben. Das Pausenbrot zu vergessen ist nicht schlimm, das Kind hat Freunde und diese werden hilfsbereit ihr Brot mit ihm teilen. Ebenso beim Vergessen der Trinkflasche. Genauso sieht es beim Vergessen eines Buches aus, dann wir mit dem Nachbarn gemeinsam in das Buch geschaut. Beim Turnbeutel sieht es vielleicht anders aus, da kann es sein, dass Ihr Kind am Sportunterricht nicht teilnehmen darf und zuschauen muss.
All diese Erfahrungen, die Ihr Kind durch sein Vergessen macht, sind wichtige Erfahrungen auf dem Weg zur Selbständigkeit. Es erfährt, dass andere Kinder mit ihm teilen, es erfährt Hilfsbereitschaft und Fürsorge, es erfährt, dass es immer wieder Lösungen gibt, es erfährt, dass man die Konsequenzen tragen muss und dass diese auszuhalten sind.
Diese wichtigen Lebenserfahrungen lassen unser Kind selbstbewusster und konfliktfähig werden. Es kann ein großes Vertrauen zu sich selbst aufbauen, da es dies allein gemeistert hat.
Nehmen Sie Ihrem Kind nicht diese Erfahrungen!
Ihrem Kind mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung zu geben, sollte für Eltern ein gutes Gefühl sein, da sie dadurch ein Stück Verantwortung abgeben können. Loslassen bedeutet, dass sich Eltern immer mehr zurückziehen und dem Kind durch ihr Vertrauen Verantwortung geben. Wichtig ist hierbei, das Kind nicht zu überfordern und sich individuell am eigenen Kind zu orientieren.
Sie können Ihrem Kind mehr zutrauen als Sie denken!