Sicherlich hat Sie bereits das erste Jahr mit Ihrem Baby geprägt. Sie haben bereits erkannt, dass mit einem Baby nichts mehr in Hektik und Schnelligkeit zu erledigen ist.
Langsamkeit und Geduld sind ganz wichtige Eigenschaften für Eltern.
Diese zu erwerben ist für viele ein längerer Prozess. Oft kommen wir aus der Hektik des Alltags und die Umstellung zur Familie ist eine Herausforderung.
Auch die nächste Zeit des Kleinkindalters fordert diese wichtigen Tugenden heraus.
Das Alter zwischen ein und zwei Jahren ist geprägt davon, dass Ihr Kind die Motorik immer besser beherrscht. Es lernt laufen, klettern, hüpfen, rennen, rückwärts laufen – die Motorik ist einer der großen Motoren, die das Kind antreibt. Viele Dinge wollen jetzt entdeckt und erkundet werden und das braucht Zeit.
Die ersten Lieblingswörter aller Kinder sind „Allein“ und „Nein“. Wenn sie das Wort „Allein“ hören, wissen Sie, dass sich Ihr Vorhaben für die nächste halbe Stunde verzögert. Nichts geht mehr, und das Kind entwickelt einen starken Willen sein „Allein“ umzusetzen.
Stellen Sie sich um, verändern Sie Ihre Erwartungshaltung und lernen Sie den Weg als Ziel zu sehen.
Ihr Augenmerk liegt nicht auf dem Spazieren-Gehen, sondern verändert sich in ein Spazieren-Stehen.
Stellen Sie sich auf die Bedürfnisse Ihres Kindes ein.
Nicht der Spielplatz ist das Ziel, sondern der Weg zum Spielplatz wird bereits zum Abenteuer.
Wie schade ist es, dass gerade diesen Weg so viele Kinder nicht gehen dürfen, sondern im Kinderwagen geschoben werden. Unterstützen Sie die Motorik Ihres Kindes, und fördern Sie das Laufen. Selbstverständlich üben Sie das nicht neben einer Hauptverkehrsstraße, da transportieren Sie Ihr Kind schnell im Kinderwagen, aber sobald Raum zum Laufen gegeben ist, lassen Sie es die Welt erkunden.
Diese enorme Neugierde und diese Energie, die in unseren Kindern steckt, kann auch auf Sie überspringen. Lassen Sie sich ein auf diese neue Langsamkeit, entdecken sie ebenfalls die kleinen Käfer, die am Wegesrand krabbeln, das kleine Blümchen, das dort wächst, und die Tautropfen auf den Blättern. Die Welt ist so faszienierend und dies fängt nicht im Urlaub an, sondern bereits vor unserer Haustür. Entdecken Sie mit Ihrem Kind die Schönheit unserer Natur und kommen Sie wieder ins Staunen. Sie werden sehen, wie wohltuend dieser Weg sein kann.
Das Kleinkind weiß, dass es etwas bewirken kann und drückt sein Vorhaben über dieses Wort“allein“ aus. Wie wichtig ist es für unser Selbstgefühl, etwas allein zu leisten! Beobachten Sie Ihr Kind und sie werden den Stolz in seinen Augen entdecken, selbst etwas zu bewirken und sich dadurch seiner selbst immer mehr bewusst zu werden.
Sein „eigenes Ding machen“ ist eine ganz wichtige Erfahung, ist ein Weg in die Selbstständigkeit des Kindes.
Beziehen Sie Ihr Kind so viel wie möglich in Ihren Alltag mit ein. Kein Kind möchte im Wohnzimmer vor einem Berg mit Spielsachen sitzen. Das Kleinkind möchte seine Eltern bei all ihren Tätigkeiten begleiten. Putzen Sie das Bad, möchte das Kind mitputzen. Ebenso bei allen anderen Tätigkeiten, sei es nun Spülen, Spülmaschine ausräumen, Saugen, Fensterputzen, Tischdecken oder bei den angenehmen Dingen wie auf der Couch sitzen und lesen, aus der Tasse trinken und gemeinsam die Mahlzeit einnehmen.
Lassen Sie Ihr Kleinkind teilhaben an Ihrem Leben. Alle Tätigkeiten gehen auch gemeinsam, nur eben langsamer. Da haben wir es wieder, die Langsamkeit. Immer wieder holt Sie uns in unserem Alltag ein. Machen Sie das Spülen zu einem Spiel, dann kann es sehr viel Freude bereiten, und der Druck, die Hausarbeit schnell beeenden zu wollen, wird genommen.
Sie sind Vorbild für Ihr Kind, und es wird immer mehr all die Dinge im Rollenspiel üben, die es bei seinen Eltern sieht. Dieses Rollenspiel ist ein ganz entscheidender Faktor dafür, wie das Lernen in diesem Alter geschieht. Unterstützen Sie Ihr Kind, indem Sie Spielsachen kaufen, mit denen es die alltäglichen Erlebenisse nachspielen kann, wie z.B. ein Küche mit Töpfen, einen kleinen Staubsauger, einen Besen usw.
Auch ein „NEIN“ zwingt uns zur Langsamkeit. Wir müssen automatisch inne halten, überlegen, welchen Freiraum kann ich jetzt meinem Kind geben und welche Selbständigkeit kann ich jetzt nicht unterstützen. Je mehr unser Alltag von Terminen bestimmt wird, umso mehr wird sich mein Kind mit einem klaren „Nein“ dagegenstellen.
Kinder wollen nicht getrieben werden, sie wollen in ihrem Tempo, d.h. in ihrer Langsamkeit spielen und die Welt erkunden.
Selbstverständlich gibt es z.B. Arzttermine, die eine Pünktlichkeit voraussetzen und uns zur Schnelligkeit zwingen. Aber auch hier spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Habe ich genügend Zeit zum Anziehen eingeplant? Kann das Kind in seinem Tempo das Ankleiden bestimmen? Bin ich in Zeitdruck, so spürt mein Kind dies sofort und kommt oft in eine Gegenwehr. Zeit zu haben ist fast zu einem Luxus geworden, den sich viele Eltern nicht mehr gönnen.
Gerade unsere Kinder können uns wieder in eine Langsamkeit bringen, wenn wir dies erkennen und ihr Verhalten als Geschenk annehmen können.
Kinder zeigen über ihr Verhalten, ob sie sich wohlfühlen oder etwas nicht stimmt. Gerade Kinder, die in eine absolute Trödelei gehen, wehren sich gegen die Schnelligkeit ihrer Eltern. Hier gilt immer wieder: innehalten, reflektieren und überlegen, wie man den Alltag stressfreier gestalten kann.
Gerade der Morgen ist oft geprägt von Hektik und Stress. Eltern müssen zur Arbeit, Kinder müssen vorher angezogen und gewaschen werden sowie frühstücken, und alle müssen pünktlich aus dem Haus, um rechtzeitig in der Kindertagesstätte und am Arbeitsplatz anzukommen. Dieser morgendliche Stress wird oft in meinen Elternseminaren von den Eltern thematisiert.
Kinder wollen gemütlich aufwachen, im Anschluss im Schlafanzug erst einmal spielen und am liebsten abends im gleichen Schlafanzug wieder ins Bett gehen. Eltern sind diejenigen, die morgens pünktlich das Haus verlassen müssen und dadurch ein massives Problem haben.
Als erstes ist es wichtig, sich gut zu organisieren. Ein frühes Aufstehen der Eltern lohnt sich, um die wichtigsten Dinge, wie z.B. das Frühstück schon vorzubereiten. Diskussionen um die Kleiderauswahl werden morgens nicht mehr geführt. Habe ich ein Kind, das beim Anziehen schon selbst entschieden mitbestimmen will, lege ich mit dem Kind die Kleidung bereits am Vorabend heraus.
Mein Tipp ist: Helfen Sie morgens Ihrem Kind so viel wie möglich, um ein ständiges Nörgeln wie z.B. „Jetzt mach schon!“, „Zieh dich endlich an!“, „Du spielst ja schon wieder, anstatt dich anzuziehen!“, „Kannst du dich nicht einmal beeilen!“ zu verhindern.
Ziehen Sie Ihr Kind morgens an, waschen Sie es und setzen Sie es im Anschluss entspannt an den schon gedeckten Frühstückstisch. Ich weiß, dass von vielen Erzieherinnen Druck gemacht wird mit Grundsätzen wie: „Das Kind kann das doch schon allein“, „Es soll sich selbst anziehen lernen“, „Unterstützen Sie ihr Kind in die Selbständigkeit“. Dies sind alles wichtige und berechtigte Einwände, aber dieses Üben muss doch nicht morgens von Ihnen geleistet werden, wenn Sie unter Termindruck stehen. Anziehen können Sie auch noch zu anderen Uhrzeiten üben, wenn Sie im Alltag entspannt mit Ihrem Kind zu Hause sind.
Ich habe meine Tochter bis zum achten Lebensjahr morgens angezogen. Ich habe mich diesem Druck und Stress nicht ausgesetzt und war immer froher Hoffnung, dass sie das Anziehen bis zum fünfzehnten Lebensjahr schon leisten wird.
Überlegen Sie, welche Situationen Ihnen Stress bereiten, besprechen Sie sich mit Ihrem Partner, und suchen Sie immer nach Lösungen zur Entschleunigung, damit die Langsamkeit in Ihre Familie Einzug erhalten kann.
Viel Erfolg – es lohnt sich!