Es gibt kein richtig oder falsch in der Erziehung, sondern nur ein passend!
Dieser Satz ist mein wichtigster Leitsatz bei Gesprächen mit Eltern.
Regeln müssen immer wieder überdacht und angepasst werden
Stimmen bei Kindern die Regeln nicht mehr, so merken Sie als Eltern dies am Verhalten Ihrer Kinder recht schnell. Kinder bleiben nicht vor den „Grenzen“ stehen und sagen: „Oh, eine Grenze, die darf ich nicht überschreiten.“ Je nach Temperament des Kindes werden die Grenzen von ihm niedergetrampelt, übersprungen, umgerannt. Das Kind verändert sich, widersetzt sich dem Abgesprochenen, wird vielleicht auch aggressiv. Erziehung wird in dieser Zeit sehr anstrengend. Doch unsere Kinder wollen körperlich und geistig reifen und dafür gehört diese Rebellion dazu.
Sie zeigen uns durch ihr Verhalten, dass sie wieder mehr Verantwortung haben möchten, selbstbestimmter sein wollen und wieder neue Freiräume brauchen. Diese Phasen wechseln sich mit Phasen der Ruhe und Harmonie ab.
Ich nenne sie: „Mama-Papa-Tankphasen“
Immer wieder haben Sie als Eltern das Gefühl, wir haben die tollsten Kinder auf der Welt. Alles läuft rund, kaum Streit, ein harmonisches Miteinander stellt sich ein. Oft zeigt sich, dass diese Phase schon wieder zu kippen beginnt, wenn wir sie als Eltern bewusst wahrnehmen. Die Kinder werden wieder anstrengender, ständige Auseinandersetzungen folgen, Erklärungen werden gefordert, Grenzen und Regeln müssen neu überdacht werden.
Dieses auf und ab spiegelt die Entwicklungs- und Reifungsschritte des Kindes wieder. Läuft alles rund, so stimmen alle abgesprochenen Regeln und Grenzen. Das Kind ist in seiner Mitte, sammelt sich, tankt neue Kraft für den nächsten Entwicklungsschub.
Bei Babys merkt man diesen Schub sehr deutlich. In dieser Zeit hängen sie wie die Kletten an der Mutter oder an dem Vater. Ein Ablegen ist schier unmöglich. Auch nachts wacht das Baby in dieser Phase häufig auf, um sich zu vergewissern: „Sind meine Eltern noch da, ist alles in Ordnung?“
Werden die Kinder älter, hängen sie zum Glück nicht mehr wie Kletten an einem. Aber schaut man genau hin, so lassen sich auch bei älteren Kindern Parallelen erkennen. Die Kinder wollen z.B. nur zu Hause spielen, verabreden sich kaum mit Freunden oder alle Freunde sollen zu ihnen kommen. Auch dies ist als „Tankphase“ zu verstehen, welche die Kinder für ihre Sicherheit, für ihren Halt brauchen, um sich wieder wohl zu fühlen und weiter entwickeln zu können.
Als Eltern ist es Ihre Aufgabe Ihrem Kind in solch einer Zeit die nötige Aufmerksamkeit zu geben, Ihr Kind und seine Bedürfnisse anzunehmen und ihm ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln. Halten Sie dagegen und fordern Sie Ihr Kind z.B. auf mehr rauszugehen, so wird sich diese Phase in die Länge ziehen und alles wird umso anstrengender. Ist Ihr Kind wieder gefestigt, wird es von alleine seinen Weg nach draußen finden. Doch auch dieses Verhalten passt vielen Eltern nicht, weil ihr Kind dann ständig unterwegs ist und keine Zeit mehr mit ihnen verbringt. Machen Sie sich deshalb immer wieder klar, was Ihre Aufgabe als Eltern ist: Ihr Kind optimal in seiner Entwicklung zu unterstützen. Dieses Auf- und Ab der Nähe und Distanz zu den eigenen Eltern gehört zu einer gesunden Entwicklung und Abnabelung dazu.
Selbst vor der Sturm- und Drangzeit, der Pubertät, lässt sich dieses Phänomen bei den Kindern beobachten. Eine Freundin erzählte mir: „Merkwürdig, selbst wenn wir am Wochenende einen langweiligen Spaziergang machen, will unser Sohn (15 Jahre) daran teilnehmen.“ Einige Monate später jedoch war er „nur unterwegs“, und sie meinte: „Wir sehen ihn kaum noch!“
Eltern spüren meistens, wenn Regeln nicht mehr passen und neu abgesprochen werden müssen. Dieses Gefühl leitet Eltern so lange bis die Kinder ausgezogen sind. Sie als Eltern haben ebenso wie Ihre Kinder das Recht, sich in der Familie wohlzufühlen. Halten Sie nicht an Regeln fest, nur weil Sie diese einmal gesetzt haben. Überdenken und ändern Sie diese so lange, bis sie passen und Sie sich damit wohlfühlen.