Gibt es etwas, das Eltern mehr nervt als der Streit unter Geschwistern? Ich glaube kaum.
Im Streit ziehen sich die Kinder an den Haaren, kratzen, hauen, petzen, schubsen, schreien, kneifen und das gefühlt den ganzen Tag.
Sehnen sich Eltern nach einem ruhigen Morgen, entspannt und gemütlich mit den Kindern aufzustehen, kann dieser Wunsch von kurzer Dauer sein. Schon im Bad wirft der eine die Zahnbürste des anderen in die Ecke und die Schreierei fängt an.
Beim Frühstück möchte jeder die letzte Scheibe Gelbwurst haben und der Spaß beginnt von Neuem.
Geschwister sind so kreativ, was die Möglichkeiten eines Streits enorm erhöht.
Vielleicht kann die Aussage, dass Geschwisterkinder im Vorschulalter alle zehn Minuten streiten, die Normalität widerspiegeln, trösten kann diese Aussage allerdings nicht wirklich.
Was kann ein Kind in welchem Alter leisten? Wie erlernt es eine Streitkultur?
Erst im Alter von zwei Jahren weiß das Kind, dass es ein selbstständiges Wesen ist, d.h. losgelöst von seinen Eltern existiert. Das bedeutet, es probiert jetzt aus, wie es auf andere wirkt, was es selbst bewirken kann, wie es sich durchsetzen oder zurücknehmen kann, welche Position es in der Familie und in der Kitagruppe hat.
Erst mit zwei Jahren explodiert die Sprachentwicklung. Das heißt, die ersten Auseinandersetzungen werden meist körperlich gelöst, da das Kind der Sprache noch nicht mächtig ist. Deshalb gehören Hauen, Schupsen, Kratzen, Beißen zum normalen Repertoire eines Zweijährigen.
Das Kind, das noch ganz in seiner Körperlichkeit steckt, benötigt die Hilfe der Erwachsenen, um Konflikte langsam verbal zu lösen. Erst wenn ich weiß, wer ich bin, wieviel Kraft ich habe, was meine Stärken und Schwächen sind, kann ich Konflikte verbal lösen.
Die Begleitung sieht immer so aus, dass ich mich auf das konzentriere, was das Kind tun soll und mich nicht so lange am Fehlverhalten aufhalte. Jüngere Kinder brauchen noch vorgeschlagene Lösungsmöglichkeiten, ab einem Alter von 4-5 Jahren kann man die Kinder bereits gut an der Lösung beteiligen.
Beispiel: Das Kind hat mit seinem Auto gespielt und dann kommt der Bruder und nimmt es ihm ab. Daraufhin haut das Kind seinen Bruder. Dieser weint jetzt ganz laut.
Kommen Eltern zu einer Situation, die sie nicht beobachtet haben, ist es immer wichtig, den Weinenden erst einmal zu trösten. Im Anschluss schildern Sie, was Sie sehen, z.B.: „Der Anton weint und hält dein Auto, mit dem du eben gespielt hast, in der Hand.“
Kinder unter sechs Jahren können nicht lügen, Ihre Kinder werden Ihnen sofort berichten, was vorgefallen ist. Jetzt ist es wichtig, dass sich das Kind entschuldigt und Sie Ihren Kindern eine Hilfe anbieten, wie sie in Zukunft diesen Konflikt lösen können, wie z.B.: „Anton, wenn du das Auto von Tom haben möchtest, musst du ihn fragen “Darf ich dein Auto haben?“ Tom, wenn der Anton dein Auto ohne zu fragen einfach nimmt, darfst du ihn Anton ruhig anschreien “Das ist mein Auto, das brauche ich noch“. Wenn die Wut kommt, dann schreie ihn wieder an oder haue die Wut hier in das Kissen, aber nicht den Anton hauen.“
Kinder im Vorschulalter sind Gefühl und nicht Verstand. Wenn wir mal ehrlich sind, zeigen dieses Verhalten noch viele Erwachsene.
Das Problem ist, dass das emotionale Zentrum, die Amygdala, immer schneller informiert wird als der präfrontale Cortex, der ein besonnenes und überlegtes Handeln zulässt.
Deshalb handeln Kinder im Vorschulalter immer nach ihrem Gefühl. Der Verstand wird erst später eingesetzt. Diese Umschaltung ist ein Lernprozess. Wir müssen unseren Kindern helfen, immer mehr mit der Sprache Konflikte zu lösen. Ein großer Lernschritt in diese Richtung vollzieht sich in der Grundschulzeit.
Bringen Sie Ihren Kindern bei, bei großen Gefühlen wie Wut, Zorn, Aggressivität, Traurigkeit dem Verstand Zeit zu geben zu reagieren. Methoden wie fünfmal tief durchatmen, von fünf rückwärts zählen, das Wort „Stopp“ oder „Halt“ laut aussprechen, geben uns Zeit, zu überlegen.
Erst wenn wir neutral, wie von außen, eine Stress- oder Konfliktsituation beobachten können, werden wir lösungsorientiert handeln. Diese Möglichkeit macht uns immer wieder im Leben zu einem Handelnden und nicht zu einem Opfer.
Selbstverständlich sind Eltern auch Vorbild in Sachen Streitkultur. Die Kinder beobachten uns und lernen daraus. Sollte ein Partner eine Streitkultur haben, die der andere nicht gutheißen kann, z.B. dass dieser immer aus dem Streit herausgeht, sich zurückzieht oder die Wohnung verlässt, darf auch das vor den Kindern ehrlich geäußert werden, wie z.B.: „Der Papa kann gar nicht richtig streiten mit mir. Ich finde es schade, dass wir den Streit nicht verbal beenden können und im Anschluss eine Versöhnung stattfindet. Ich wünsche mir für euch, dass ihr das besser lernt.“
Wie Sie aus diesem Beispiel erkennen, lernen wir viele Muster in der Kindheit. Streit macht etwas mit uns. Vielleicht kommen eigene Erinnerungen hoch, an die eigenen Eltern, die sich oft gestritten haben und damit das eigene Gefühl der Angst. Wichtig ist, dass wir als Eltern selbstreflektiert die Kinder erziehen und uns bewusst machen, warum gerade unsere streitenden Kinder solche großen Gefühle in uns auslösen.
Schwer haben es auch die harmoniesüchtigen Eltern. Sie wollen ein friedliches Miteinander, ohne Konflikte. Ein Kind muss jedoch immer erst sich selbst mit seiner Körperlichkeit erfahren und aktiv auch körperlich an Grenzen gehen, damit es seinen Weg zu sich findet.
Kämpfe mit Regeln und Signalrufen wie z.B. „Stopp“, fördern die Suche nach der Körperlichkeit.
Wann müssen Eltern eingreifen?
Eingreifen müssen Eltern, wenn das Kind körperlich oder verbal stark verletzt wird oder immer wieder als der Schwächere aus Konflikten herausgeht. Wenn abgesprochen Regeln bei einem Kämpfchen nicht eingehalten werden, können Eltern als Schiedsrichter fungieren.
Streit gehört zum Leben dazu, beobachten Sie Ihre Kinder genau. Oftmals können sie den Streit allein lösen. Ein zu schnelles Eingreifen ist nicht ratsam. Wie stolz sind die Kinder, wenn sie ohne Hilfe der Eltern solche Situationen beenden können. Dies sind ganz wichtige Lernerfahrungen.
Ein Tipp noch: Kinder zeigen uns über ihr Verhalten, das es im Moment nicht ganz rund läuft mit ihnen. Ein Streithahn bekommt auch Aufmerksamkeit, zwar im negativen Sinn, aber trotzdem Zuwendung. Sollte ein Kind immer wieder Streitigkeiten anzetteln, dann geben Sie diesem Kind die nächste Zeit mehr Aufmerksamkeit. Unternehmen Sie etwas allein mit diesem Kind, oftmals löst sich das Problem dann von allein.